Ingolstädter I.D.N.A.-Preis

Verleihung des „Ingolstädter I.D.N.A.-Preises für Kunst unter erschwerten Bedingungen"          1999

© Haidhauser Nachrichten - Ausgabe 12/99, 24. Jahrgang, Dezember 1999


Haidhauser verleiht Preis für

"Kunst unter erschwerten Bedingungen"

I.D.N.A. heißt soviel wie I.=Ideen, D.=Durchführen, N.=Nachdenken, A.=Anregen.


( Seite 11 )


Haidhauser verleiht Preis für


"Kunst unter erschwerten Bedingungen"


Kunst - ein hehrer Begriff, bei dem viele gleich vor Ehrfurcht erstarren, sie denken an riesige Ölgemälde, mucksmäuschen stille Museumsgänge, ehrfürchtiges, intellektuelles Geflüster. Werden Kunstpreise verliehen, dann wird's oft noch schlimmer: bei den Lobreden ist von extraordinärer Farbgestaltung und unheimlich gewagter Linienführung die Rede.


Andreas Wiehl, ein in Haidhausen lebender Kunsterzieher, hat jetzt einen etwas anderen Preis verliehen: den Ingolstädter I.D.N.A-Preis für "Kunst unter erschwerten Bedingungen". Verliehen an Franz Baumgärtel, der in Ingolstadt auf öffentlichen Plätzen und Cafés das Leben um sich herum zeichnet. Die erschwerten Bedingungen: Er ist seit Jahren wohnungslos.

Meist sitzt Franz Baumgärtel vor einer Buchhandlung in der Ingolstädter Innenstadt - neben sich zwei große Tüten mit seinem Hab und Gut. Oder er zieht durch die Kneipen und hält mit oft wenigen Strichen die Stimmung fest, charakterisiert die beiden Typen, die am Nebentisch gerade ihr Bier trinken.

Franz Baumgärtel konnte es erst gar nicht glauben, daß ausgerechnet er einen Preis kriegen soll: "Erst hab ich gedacht, der Andreas will mich auf den Arm nehmen. Erst als ich gemerkt habe, er meint es wirklich ernst mit dem Preis, hab ich mich doch gefreut."


Die Idee, doch einmal einen ganz anderen Preis zu vergeben - ganz anders als am etablierten Kunstmarkt - die Idee kam von SchülerInnen der Fach- und Berufsoberschule in Ingolstadt. Andreas Wiehl lebt zwar in Haidhausen, war aber dort Kunsterzieher. Einen Wohnungslosen im Namen einer Schule zu ehren, das schien dem dortigen Direktor gar nicht zu passen.

Andreas Wiehl durfte das Projekt nicht mit seinen SchülerInnen durchziehen. Kommentar einer Schülerin: "Ich find's sehr schade, daß gerade solche Aktionen im schulischen Rahmen nicht möglich waren, weil ich denke, Schule sollte ja nicht nur 45 Minuten stures Lernen sein, sondern es sollte auch zu Erfahrungen beitragen und nach außen gehen, Das wurde in dem Bereich leider verwehrt, was ich traurig finde."


Andreas Wiehl ließ sich nicht entmutigen und sammelte privat für seine Idee. Dabei ging es nicht um gewaltige Geldsummen von anonymen Institutionen. Fünf Mark sammelte er von Privatmenschen, von Menschen, die den Künstler Walter Baumgärtel kennen und dann auch mehr über ihn wissen wollten.

Ganz wichtig, so meint Andreas Wiehl: der Preis versteht sich nicht als ein Almosen, das man aus Mitleid verteilt. Der Preis gelte erstens für die Kunst von Franz Baumgärtel und zweitens für die Haltung, die diese Kunst unter den erschwerten Bedingungen hervorbringe. "Klingt ein bißchen kompliziert, ist aber wichtig. Also es geht beides mal um die Kunst, aber es ist wichtig, daß man die Bedingungen, unter denen so etwas entsteht, auch einfach ein bißchen mit im Kopf hat. Das machen sich viele, wenn sie die Bilder sehen, nicht klar." Seit drei Jahren kenne er Franz Baumgärtel - seine Bilder haben ihn schon damals fasziniert. "Entschuldigen sie das altmodische Wort, aber die hatten einfach Atmosphäre und Anmut. Die fand ich einfach schön."


Mit seiner Initiative hat Andreas Wiehl doch einiges erreicht: Vor allem, daß in Ingolstadt kontrovers diskutiert wird, was so ein Preis soll und ob man ihn im Rahmen einer Schule verleihen kann. Für Franz Baumgärtel selbst kamen immerhin über 400 Mark zusammen, außerdem hat ihm die Stadt im Rahmen der Preisverleihung zunächst eine Genehmigung eingeräumt, vor der

Buchhandlung in der Innenstadt arbeiten und verkaufen zu dürfen. Und nicht zuletzt hat der Preis vielleicht bewirkt, daß Menschen ohne Wohnsitz nicht mehr nur als Menschen außerhalb der Gesellschaft betrachtet werden.


Kommentar von Franz Baumgärtel selbst dazu: "Außenstehend irgendwie schon - außerhalb von der Wohnung stehend. So seh ich das und nicht anders."


cg


I.D.N.A. heißt soviel wie I.=Ideen, D.=Durchführen, N.=Nachdenken, A.=Anregen.


Hier acht Fragen von Andreas Wiehl, die nicht nur in Ingolstadt zum Nachdenken anregen sollen:

1.Sollen Schüler einen Kunstpreis verleihen können, der Menschen am sogenannten sozialen Rand der Gesellschaft zugeeignet ist?

2.Wie kann eine Schule derartige Aktionen unterstützen und was bewirkt ein solches Engagement?

3.Können Sie sich vorstellen, daß ein solcher Preis nicht nur Unterstützung, sondern auch Beunruhigung für den Preisträger bedeuten kann?

4.Können Sie sich weiter vorstellen, daß eine sogenannte "Randerscheinung" sich selber ganz und gar nicht als eine solche begreift, sondern als ein hier "Mit-Lebender", "Mit-Schauender", "Mit-Arbeitender" und "Mit-Denkender"?

5.Haben Sie bisweilen bedacht, daß jenseits der gesellschaftlichen Strukturen sich einzelne Menschen ihre eigenen Strukturen bilden - mit innerer Logik und Folgerichtigkeit?

6.Verdient eine solche andere Lebenskultur Respekt? Kann sie wertvoll für andere Menschen sein?

7.Wie kann die Schule eine direkte, konstruktive Begegnung mit "Anders-Seienden" nutzen?

8.Soll der I.D.N.A.-Preis einmalig bleiben - oder sollte er zum Beginn einer Reihe, einer wünschenswerten Tradition werden?



3. Dezember 1999 | 3. Dezember 1999, 19:49:42 MET

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